Erfahrungsbericht Annegret Lehmann (2012)
„Aber da sind doch die ganzen Irren!“
Als ich meinen Freunden das erste Mal davon erzählte, dass ich ein Praktikum im SKH Großschweidnitz machen wollte und im nächsten Atemzug erklärte, dass das eine psychatrische Klinik sei, war die Reaktion immer gleich: „Eine Psychatrie?! Aber da sind doch die ganzen Irren!“
Natürlich verteidigte ich meine zukünftige Praktikumseinrichtung vehement, aber ein paar Ängste und Zweifel blieben doch.
Ich bin Schülerin am Gymnasium und gerade mal siebzehn Jahre alt. Was sollte ich gegen einen ausrastenden Patienten mit irgendeiner psychischen Störung tun?! Als ich dann erfuhr, dass ich nicht in den Bereich für akute Psychatrie kommen würde, atmete ich innerlich auf. Einen Tag vor Praktikumsbeginn realisierte ich dann aber, dass ich auf der Suchtstation arbeiten würde. Plötzlich wusste ich nicht mehr, ob das viel besser war. Also versuchte ich mir Mut zu machen, indem ich mir immer wieder sagte, dass ich nicht allein sein würde, sondern meistens ein Arzt, Psychologe, Pfleger oder mein Praktikumsmentor Lutz Hanspach in der Nähe sein würden. Das funktionierte auch sehr gut und so betrat ich gut gelaunt und etwas aufgeregt am Montag, den 13.02.2012 das Krankenhausgelände.
Ich hatte bereits die Internetseite der Klinik mit den Fotos und dem Clip bestaunt und wurde dementsprechend auch nicht enttäuscht. Als ich dann die Station 9 betrat, war das erste, was ich sah ein Patient in Jogginghose, mit vielen Piercings und sichtbar schlechter Laune. Das bewirkte, dass meine anfängliche Aufgeregtheit in Unbehagen umschlug. Ich versuchte, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und blickte gespannt der morgendlichen Visite entgegen. Nachdem wir den Raum betreten hatten, in dem die Visite stattfinden sollte, wurde ich den Ärzten und Pflegern vorgestellt und ließ mich, mich sicher fühlend, auf einem der Sofas neben einem leeren Sessel nieder. Schließlich betrat der erste Patient den Raum und mir wurde schlagartig bewusst, dass ich mir mit meiner Platzwahl keinen Gefallen getan hatte. Der Patient, bei den anderen Anwesenden nicht unbekannt, setzte sich direkt neben mich und machte schon zu Beginn des Gespräches keinen Hehl aus seiner unterschwelligen Gereiztheit. Nach einer Weile bemerkte ich, dass ich wahrscheinlich genauso angespannt und ängstlich schaute, wie ich mich fühlte, und versuchte krampfhaft meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen, um ein möglichst freundliches und offenes Gesicht zu machen. Tatsächlich habe ich es fertig gebracht am Ende der Visite mein Unbehagen abzulegen und es hat sich in den ganzen zwei Wochen, die ich in Großschweidnitz verbrachte, nicht zurück gemeldet.
In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt. Unter anderem, dass man Menschen nicht nur nach dem, was sie anhaben, sagen oder tun beurteilen sollte, sondern auch auf das schauen sollte, was sie bereits erlebt haben und was sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Besonders Freude haben mir die Gespräche mit den Drogenpatienten gemacht, was vielleicht daran liegt, dass viele von ihnen nur einige Jahre älter sind als ich. In diesen Gesprächen ist mir sehr deutlich bewusst geworden, wie behütet ich aufgewachsen bin (ich hab absolut keine Ahnung von Drogen und ihrem Konsum) und wie gut ich es mit meiner noch intakten Familie getroffen habe. Mein Wunsch für später ist es, Psychologie zu studieren, was auch ein Grund für dieses Praktikum war. Insofern waren auch die Gespräche mit den Psychologinnen und Psychologen sehr hilfreich, die mich auf Vor- und Nachteile dieses Berufes hinwiesen, mich aber auch bestärkten und mir Mut machten.
Ich hatte Einblick in viele Bereiche der Therapie, ob nun Ergotherapie, Gruppengespräche, Visite oder Testungen. Es war alles unheimlich interessant und hat mir auch sehr viel Spaß gemacht. An dieser Stelle auch ein Gruß an die lustige Mittagstischrunde! Im Großen und Ganzen hat mir dieses Praktikum definitiv gut getan und bestärkt mich, obwohl nicht alle Patienten mir ganz geheuer waren, in dem Wunsch, später einmal etwas in die Richtung zu machen. An dieser Stelle möchte ich mich auch noch einmal bei allen Mitarbeitern für die Einblicke und die freundliche Aufnahme auf der Station bedanken. Ich denke, ich konnte auch vielen Leuten in meinem Freundes- und Bekanntenkreis die Vorurteile gegenüber psychatrischen Einrichtungen nehmen und wenn das nicht positiv ist, dann weiß ich auch nicht.
Annegret Lehmann, 2012